Warum als Balumil-Compas ins CELMRAZ im zapatistsichen Caracol II von Oventik? Wir glauben, es kann sehr unterschiedliche Gründe geben, die Sinn machen: von Castellano oder Tsotsil lernen, um sich mit der zapatistischen Bewegung auszutauschen, sie in ihrem autonomen Bildungsbereich direkt materiell zu unterstützen und das Erlebte später mit den Menschen zu Hause zu teilen – oder auch um sich selbst in Bezug auf sich und die Welt mal zu checken …
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Wir, zwei Menschen aus der BRD, fliegen Ende Oktober 2022 nach Chiapas, um drei Wochen im Caracol II Oventik im CELMRAZ (Centro de Español y Lenguas Mayas Rebelde Autónomo Zapatista) zu verbringen. Nach einer Woche Zeit zum Ankommen und Vorbereiten in San Cristóbal de las Casas (im Folgenden schreiben wir nur San Cristóbal) machen wir uns dann auf den Weg ins Caracol. Wir fahren mit einem Gemeinschaftstaxi, das, wie auf der Homepage vom Celmraz beschrieben, 65 Pesos kostet. Die An- und Abreise nach Oventik und von dort zurück nach San Cristóbal ist etwa 1 bis 1,5 Stunden Autofahrt. Nur selten müssen wir bis zu zwei Stunden warten bis genug Mitfahrer:innen im Taxi sind.
Bei der Ankunft geben wir unseren Balumil-Aval an die Compañerxs Zapatistas am Tor. Nach einer kurzen Wartezeit wird uns das Tor geöffnet und wir werden zu dem Räumlichkeiten des Celmraz geführt. Kurze Zeit später werden wir von den zwei Compañeras, die für das Essen zuständig sind, gefragt, ob wir an diesem Sonntagabend Essen möchten. Wir sagen zu und sitzen einige Stunden später vor riesigen Tortas (Sandwiches), die wir mit einem üppigen Schwung Mayo verzieren. Mit uns sind weitere Internacionales vor Ort. Die Gruppe ist jedoch jede Woche unterschiedlich zusammengesetzt und wir erleben jede Woche eine unterschiedliche Dynamik der Internacionales (u.a. auch aus den USA, Katalonien und dem Baskenland) – untereinander und miteinander. Manchmal ist es lustig, bis die Bäuche weh tun und manchmal mehr zurückgezogen, und manchmal auch ein bisschen anstrengend mit all den verschiedenen Bedürfnissen und unterschiedlichen Sprachkenntnissen.
Montag bis Freitag haben wir täglich zwei Stunden Unterricht in Castellano und eine Stunde eine gemeinsame »Aktivität«, wie es die Compas nennen. Wir stehen um 9 Uhr vor dem Raum, in dem es auch eine kleine Bibliothek gibt. Manchmal wird eine:r auch wieder weggeschickt, für sie:ihn fängt der Unterricht erst eine oder zwei Stunden später an. Eigentlich sind die Nachmittage für Aktivitäten vorgesehen, doch manchmal findet – je nach Wetter oder Gegebenheit – die Aktivität auch vormittags statt und um 17 Uhr die Unterrichtsstunden.
Die Aktivitäten sind unterschiedlich. Wir machen Tortillas, sind mit Macheten auf dem Kaffeefeld, singen mit zapatistischen Schüler:innen der Escuela Secundaria, und wir machen auch »eine kleine praktische Übung« im traditionellen Weben. All das, um ein wenig die alltäglichen Arbeiten der Pueblos, der zapatistischen Gemeinden in den Altos de Chiapas, praktisch kennenzulernen. Tanzen, singen und gemeinsam Basketball-Spielen sind ebenfalls zapatistischer Alltag der Pueblos, um sich damit im Kollektiv Zuversicht (ánimo) zu geben. Darum gehört all das auch zur autonomen Bildungspraxis, die von den Compas des CELMRAZ im Caracol II von Oventik vermittelt wird.
Als etwas Besonderes unternehmen wir mit dem CELMRAZ-Kollektiv einen gemeinsamen Ausflug in die kleine Stadt San Andrés Sakamch‘en de los Pobres (offizieller Name lautet: San Andrés Larraínzar). Dort erfahren wir u.a. von den Kämpfen um die »Vereinbarungen von San Andrés über Indigene Rechte und Kultur«, die die EZLN und andere indigene Pueblos dort 1996 mit der damaligen mexikanischen Regierung über lange Zeit verhandelt und abgeschlossen haben. Diese Vereinbarungen wurden jedoch von der Regierung im nach hinein niemals – bis heute nicht – erfüllt. In San Andrés gibt es, wie uns dort auch vermittelt wird, neben der offiziellen schlechten Regierung des Landkreises parallel dazu die autonome Regierung und zapatistische basisdemokratische Organisierungstrukturen. Zurück im Caracol haben wir an diesem Tag nach dem Ausflug abends Unterricht.
Ansonsten ist der tägliche Castellano-Unterricht geteilt in eine Stunde Grammatik und eine Stunde Konversation. Im Unterricht sind wir zwei, die wir gemeinsam vor Ort sind, meistens in unterschiedlichen Gruppen, weshalb wir teilweise auch unterschiedliche Sachen lernen. Inhalt ist viel Wissen über die zapatistische Autonomie in ihren verschiedenen Bereichen (u.a. Gesundheit, Bildung, Selbstregierung) – und auch eigene Reflexionen, die wir mitgebracht haben oder vor Ort entstehen. Manchmal hatte die eine oder andere auch mal so gar kein Bock auf Lernen, darauf wurde von den Compas des CELMRAZ wohlwollend flexibel reagiert. Die Zeit wurde dann mit einem netten Austausch verbracht, in dem wir auch jede Menge Erzählungen über kollektive und persönliche Erfahrungen und Einschätzungen der aktuellen Situation in der BRD teilen konnten.
Durch die Zeit finden wir selbst mehr eigene Wertschätzung für Nachdenklichkeit, im Handeln und in Gesprächen. Nicht nur Geduldigsein ist immer wieder ein Thema, wir lernen auch die Bedeutung von Langsamkeit – auf Tsotsil: »k‘un k‘un« (»langsam, langsam«). Schnell sind wir uns einig, dass viel auch zwischen den Worten vermittelt wird. Wir lernen, dass Verstehen nicht gleich Verstehen ist. Das eigentliche Verstehen findet beim Zuhören mit dem Herzen, dem Fühlen und dem damit verbundenen Verstehen statt. Immer wieder kommen Zweifel bei uns auf, eine Person zaudert, die andere ist frustriert. Manchmal kämpft die eine oder die andere und merkt, wie wichtig es ist, sich wieder zu berappeln, aufzustehen und weiter zu machen. »Du kannst frustriert sein oder dein Herz öffnen«, sagt einer der Compas vom CELMRAZ. Eine merkt, dass dazu auch das Lachen gehört und der Spaß. Oder wie die Compas sagen »Sin bailar no hay revolución!« (»Ohne Tanzen gibt es keine Revolution!«).
Wir stellen nach drei Wochen fest, dass die Zeit, die wir hatten, viel davon bestimmt war, was wir aus ihr gemacht haben. Welche Themen wir angesprochen haben, mit wem wir Basketball gespielt, herumgealbert oder philosophiert haben. Mit einem Lächeln denken wir an das gemeinsame Singen, den einen oder anderen Kaffee zu unterschiedlichsten Tageszeiten bei der Tienda in der Sonne oder auch im dicksten Nebel, das auf der Bühne sitzen beim Basketballplatz und die Gedanken schweifen lassen – und vor allem das viele gemeinsame Lachen beim Austausch von einigen Kruditäten hier, dort und überhaupt.
Auf Grund dessen, dass wir uns dafür entschieden hatten, an den Wochenenden die Zeit in San Cristóbal zu verbringen, um sich auch mal aufzuwärmen und eine Pause von der intensiven Zeit in den Bergen zu haben, fahren wir jeden Freitag Mittag in die Stadt und kehren sonntags ins Caracol zurück. Um nicht zu viel Geld auf einmal transportieren zu müssen, gehen wir einmal die Woche mit allen Internacionales zusammen zur Junta de Buen Gobierno, um dort unseren ökonomischen Beitrag zu übergeben
Noch etwas Besonderes: Da wir am 17. November, dem 39. Jahrestag der Gründung der EZLN im Caracol sein können, fällt an diesem Tag der Unterricht für uns aus – und wir hatten die »Hausaufgabe«, die Feierlichkeiten zu beobachten. Wir konnten als einzige Internacionales beim Fest im Caracol dabei sein, den Reden lauschen und zur Cumbia tanzen.
Die Nächte in Oventik sind kalt gewesen, denn es regnet oft im November und wir empfehlen deshalb wärmstens, einen wirklich warmen Schlafsack und Regenklamotten mitzunehmen. Ein Wasserfilter kann praktisch sein, um nicht Plastikflaschen mit Trinkwasser kaufen zu müssen.
In unserer letzten Woche im Caracol regnet es mehrere Tage durch, alles ist feucht und wir sitzen im Unterricht neben kleinen Feuerchen, um uns zu wärmen. Donnerstag und Freitag knallt aber die Sonne dann so sehr, dass wir mit Sonnenbrand den Heimweg antreten 🙂
Das Zurücksein in der Stadt San Cristóbal – nach den drei Wochen in den Bergen – überfordert uns zunächst. Es fühlt sich an, als wären wir aus einer »fernen« Welt gekommen und sind nun in einer komplett anderen. Als dann die eine von uns noch mit Menschen aus der BRD telefoniert, gehen wir danach erst mal gemeinsam eine Beruhigungszigarette rauchen. Zu viele Welten, die einfach so unterschiedlich sind. Wir können aber sicher sagen, dass wir neben Sonnenbrand 1000 Gedanken und Gefühle mitgenommen haben, die erst einmal noch unsortiert sind, aber schon am wachsen. Manchmal fehlen uns noch die Worte.
Claro ist, dass wir in unsere Kämpfe für eine bessere Welt weniger Perfektionismus und mehr Herz einbringen werden und unsere Erfahrungen mit der zapatistischen Autonomie weitergeben!